Ein Positionspapier der „Swiss Alliance for Collaborative Mobility“
(CHACOMO)
Autor: Jonas Schmid, Geschäftsführer
Positionspapier "Carsharing" als Druckversion
Die Schweiz gilt gemeinhin als Pionierland in Sachen Carsharing. Das Teilen von Autos ist in der Schweizer Verkehrswelt und Mobilitätskultur seit Jahrzehnten verankert und beständig gewachsen. Die Potenziale, die uns Carsharing mit Blick auf die Herausforderungen im Verkehrswesen, in der Raumentwicklung und beim Klimaschutz bietet, sind aber bei weitem nicht ausgeschöpft. Basierend auf den aktuellen und potenziellen Nachhaltigkeitsgewinnen sind Rahmenbedingungen zu schaffen, die das Teilen von Fahrzeugen begünstigen und fördern. Die Schweizer Allianz für kollaborative Mobilität «CHACOMO» will mit dem vorliegenden Positionspapier einen Beitrag dazu leisten.
Anders als zu den Pionierzeiten in den 1980er Jahren, ist Carsharing heute in der Schweiz ein hochspezialisierter Markt mit zahlreichen Anbietern, welche sich auf unterschiedliche Marktsegmente und Zielgruppen ausgerichtet haben. Für viele Menschen in der Schweiz – angefangen mit autofreien Haushalten, die in vielen Schweizer Städten die Mehrheit bilden – stellt Carsharing eine unverzichtbare und attraktive Dienstleistung dar. Carsharing ist aber nicht nur ein urbanes Phänomen, auch ausserhalb der grossen Agglomerationen werden seit vielen Jahren erfolgreich geteilte Autos betrieben.
Neben dem klassischen, von einem Flottenbetreiber angebotenen Carsharing haben sich in den letzten Jahren neue Geschäftsmodelle entwickelt. Ein sich rasch ausbauendes Segment des Carsharings sind digitale Plattformen, welche das Teilen von privaten Fahrzeugen vereinfachen bzw. automatisieren. Heute noch eine Nische, könnten diese Peer-to-Peer-Plattformen (P2P-Carsharing) dank neuen „sharingfähigeren“ Fahrzeugen zukünftig an Bedeutung gewinnen. Gerade für geografische Räume, in denen sich klassisches Carsharing mangels Wirtschaftlichkeit nicht etabliert, stellt P2P-Carsharing eine interessante Alternative dar, vorausgesetzt, es baut auf den gängigen Standards in Bezug auf Emissionen und Sicherheit auf. Wichtige Potenziale für eine effizientere Fahrzeugnutzung bieten zudem B2B-Carsharing-Produkte, die es Unternehmen und Wohnarealen ermöglichen, den Fuhrpark zu verkleinern und die Auslastung von Fahrzeugen zu optimieren. Schliesslich ist zu erwähnen, dass auch das “informelle” Teilen von Autos in der Familie, der Nachbarschaft und im Freundeskreis als breit verankertes Phänomen zu einer effizienteren Nutzung von Fahrzeugen beiträgt.
Als innovative Angebotsform jenseits des klassischen öffentlichen Verkehrs und des motorisierten Individualverkehrs gilt Carsharing als essenzieller Baustein für eine ökologisch, sozial und ökonomisch nachhaltige Mobilität. Carsharing hilft mit, zu verhindern, dass die antriebsseitigen Effizienzsteigerungen und die damit erzielten Emissionsreduktionen durch immer noch mehr Fahrzeuge und längere Fahrten wieder aufgehoben werden. Denn: Carsharing ermöglicht eine ressourcenschonende, effiziente und situative Fahrzeugnutzung.
Aktuell stehen den
rund 330’000 Carsharing-Nutzenden in der Schweiz etwa 8’000 geteilte Autos von
spezialisierten Flottenbetreibern und P2P-Plattformen zur Verfügung¹.
Aus Sicht der Branche scheint es sinnvoll und realistisch, bis 2030 mindestens
eine Million Carsharing-Nutzende anzustreben, was ein Gesamtangebot von rund
25’000 geteilten Fahrzeugen erfordern würde. Gemäss Erkenntnissen aus der
Forschung würde eine solche Anzahl geteilter Fahrzeuge geschätzt 300’000
Privatfahrzeuge ersetzen, ein Anteil von immerhin 6.4% des heutigen
Gesamtbestandes an Personenwagen in der Schweiz². Wie die
Entwicklung von Carsharing in diese Richtung unterstützt werden kann und welche
Massnahmen dabei sinnvoll sind, wird aus Sicht von CHACOMO nachfolgend
dargelegt.
¹Gemäss «Shared Mobility Observatory» von CHACOMO und der Mobilitätsakademie des TCS, Stand 2022.
²Vgl. z. B. Interface (2020), Summary: Mobility Nachhaltigkeitsstudie 2019. Luzern, Seite 1. / Kolleck, A. (2021), Does Car-Sharing Reduce Car Ownership? Empirical Evidence from Germany, Sustainability 2021, 13, 7384.
Die Infrastrukturen für den ruhenden und rollenden Verkehr sind begrenzt. Wie die Zahlen aus dem Mikrozensus Verkehr zeigen, stehen Fahrzeuge im Privatbesitz im Schnitt mehr als 23 Stunden pro Tag unbenutzt herum¹. Carsharing hilft, mit weniger Fahrzeugen Infrastrukturen effizienter zu nutzen und damit den Flächenbedarf zu reduzieren. So kommen Studien aus der Schweiz und Deutschland zum Schluss, dass stationsbasiertes Carsharing pro geteiltes Fahrzeug knapp ein Dutzend Privatautos ersetzt². Carsharing bietet damit das Potenzial, Parkraumflächen einzusparen, welche anderen Nutzungen zugeführt werden können.
Damit Carsharing zu einem flächeneffizienten Umgang mit Verkehrsinfrastrukturen beiträgt, sind Stellplätze an guter Lage in ausreichender Anzahl bereitzustellen. Das zentrale Anliegen ist, dass Anbieter von stationsbasiertem Carsharing die Möglichkeit erhalten, Stellplätze auf öffentlichem Grund zu errichten. Dies ist heute in einigen Städten durch spezielle Rahmenbewilligungen möglich – gesamtschweizerisch jedoch die Ausnahme. Gefragt ist ein dichtes Carsharing-Netz aus gut gelegenen privaten und öffentlichen Stellplätzen. Letztere leisten einen wesentlichen Beitrag zu mehr Sichtbarkeit und besserer Zugänglichkeit zu Carsharing. Geraten Carsharing-Stellplätze im Rahmen von Parkplatzabbau-Massnahmen unter Druck, senkt dies die Attraktivität von Carsharing.
¹Die durchschnittliche Auslastung von Personenwagen kann auf Basis von Zahlen aus dem Mikrozensus 2021 berechnet werden: Jahresfahrleistung Personenwagen = 10’256 km; durchschnittliche Geschwindigkeit = 38.1 km/h; Zeit, in der ein Auto bewegt wird = Fahrleistung/Geschwindigkeit = 269.2 Stunden => Anteil von 3 % auf das ganze Jahr.
²Vgl. z. B. Interface (2020), Summary: Mobility Nachhaltigkeitsstudie 2019. Luzern, Seite 1. / Kolleck, A. (2021), Does Car-Sharing Reduce Car Ownership? Empirical Evidence from Germany, Sustainability 2021, 13, 7384.
Carsharing-Nutzende sind durchschnittlich öfters mit dem öffentlichen Verkehr unterwegs und legen weniger Kilometer mit dem motorisierten Individualverkehr zurück als vergleichbare Haushalte¹. Diese Fakten weisen darauf hin, dass Carsharing eine wichtige Säule eines multimodalen (und intermodalen) Mobilitätsverhaltens² ist und dazu beiträgt, Fahrzeugkilometer und Emissionen einzusparen.
Um diese multimodalen Potenziale weiter auszuschöpfen, ist die Vernetzung von Carsharing mit den verschiedenen Verkehrsträgern, insbesondere den Angeboten des öffentlichen Verkehrs und weiteren Sharing-Angeboten, zu beschleunigen. Auch wenn ihre Wirkung für die Gewinnung von Carsharing-Neukunden heute noch sehr begrenzt ist, werden MaaS-Plattformen und Mobilitätsapps zukünftig an Bedeutung gewinnen³. Die öffentliche Hand und alle weiteren Marktteilnehmer sind aufgerufen, die Vernetzung von Carsharing mit anderen Mobilitätsangeboten zu fördern. Dazu gehören insbesondere ein diskriminierungsfreier Zugang für alle Anbieter zu den von der öffentlichen Hand unterstützten Mobilitätsplattformen, die Verhinderung von Monopolstellungen und faire Rahmenbedingungen für private Anbieter von Plattformen sowie der direkte Kundenkontakt für die Erbringer der Mobilitätsdienstleistungen.
Jenseits der digitalen und kommerziellen Vernetzung ist auch die räumliche Verknüpfung von Carsharing mit sämtlichen Verkehrsträgern voranzutreiben. Das gilt insbesondere für die Städte. Es ist an der Zeit, auf nationaler Ebene ein Konzept für die Ausgestaltung, die Organisation und den anzustrebenden „Level-of-Service“ von Carsharing an Mobilitätshubs zu erarbeiten. Die Entwicklung solcher Hubs als multimodale Drehscheiben ist sowohl in den Innenstädten als auch an den Agglomerationsrändern voranzutreiben.
¹Vgl. z. B. Interface (2020), Summary: Mobility Nachhaltigkeitsstudie 2019. Luzern, Seite 1.
²Multimodal: Nutzung unterschiedlicher Verkehrsmittel je nach Fahrtzweck und Ziel; Intermodal: Einsatz verschiedener Verkehrsmittel auf unterschiedlichen Etappen desselben Weges
³Vgl. z. B. Heineke K. et al. (2023) The future of mobility, McKinsey Quarterly.
Carsharing ist mit seinen Tarifmodellen und der in vielen Räumen flächendeckenden Verfügbarkeit der Garant dafür, dass bei Bedarf ein Auto genutzt werden kann, gerade auch für jene Bevölkerungsgruppen, die sich den Besitz eines eigenen Autos nicht leisten können oder bewusst auf den Besitz eines eigenen Fahrzeugs verzichten. Neben diesem Beitrag für ein sozial gerechtes Mobilitätsangebot hilft Carsharing dank der Reduktion von Autofahrten mit, die Klimaziele im Verkehr zu erreichen.
Die sozialen und ökologischen Nachhaltigkeitsbeiträge sind durch günstige Rahmenbedingungen zu honorieren. Gefragt sind einerseits Massnahmen, welche die Wirtschaftlichkeit der Geschäftsmodelle verbessern: Nutzung von öffentlichem Raum für Stellplätze zu attraktiven Konditionen, Vergünstigung bei den Fahrzeugsteuern sowie Unterstützung bei der Entwicklung von Ladeinfrastrukturen für geteilte Fahrzeuge. Andererseits kann die Marktentwicklung mit finanziellen Anreizen für die Nutzenden beschleunigt werden. Dazu zählen insbesondere finanzielle Beiträge für Carsharing-Abos, wie sie einige Gemeinden und Städte bereits anbieten.
Der Anteil reiner Elektroautos in der Schweizer Carsharing-Flotte übersteigt deren Anteil im Schweizerischen Gesamtbestand der Personenwagen – gemäss BFS lag dieser in 2022 bei knapp 2.4 %¹– um ein Vielfaches. Viele Carsharing-Anbieter operieren bereits heute ausschliesslich mit batterieelektrischen Fahrzeugen, andere haben sich die Vollelektrifizierung bis spätestens 2030 vorgenommen.
Carsharing-Anbieter
setzen also voll auf die ökologischen Potenziale, welche die Elektromobilität
bietet. Gleichzeitig stehen sie vor grossen Herausforderungen, wenn es darum
geht, alle Standorte mit Ladepunkten auszurüsten und den Kundinnen und Kunden
eine optimale Customer Journey mit der E-Mobilität zu bieten. Die Interessen von Carsharing-Anbietern sind deshalb bei Massnahmen
zugunsten der Elektromobilität mitzuberücksichtigen, insbesondere, wenn es um
die Planung, die finanzielle Förderung und Realisierung von Ladeinfrastrukturen
geht. Carsharing-Unternehmen sind darauf angewiesen,
dass bei der Entwicklung und beim Betrieb von Ladeinfrastrukturen schweizweit
möglichst einheitliche Standards erarbeitet werden, zu denen ein
diskriminierungsfreier Zugang gewährleistet werden muss (Lesen und Schreiben
von Daten). Schliesslich bieten grosse Flotten geteilter Elektroautos, welche
bidirektional geladen werden, interessante Perspektiven für die
Stromspeicherung und die Netzstabilität. Diese Potenziale sollten bei der
Planung von Ladeinfrastrukturen berücksichtigt und möglichst optimal
ausgeschöpft werden.
¹ASTRA - Strassenfahrzeugbestand 2022 (MFZ): https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/mobilitaet-verkehr/verkehrsinfrastruktur-fahrzeuge/fahrzeuge/strassenfahrzeuge-bestand-motorisierungsgrad.html
Carsharing ermöglicht einen günstigen und sozial gerechten Zugang zu einem effizienten motorisierten Individualverkehr. Viele der 22 % autofreien Haushalte der Schweiz sind regelmässig auf Carsharing angewiesen, beispielsweise wenn ein grösserer Transport ansteht oder eine Anschlusslösung für den ÖV bei Freizeitaktivitäten gefragt ist. Auch für viele Unternehmen sind Carsharing-Angebote heute eine unverzichtbare Mobilitätslösung – sei es mangels eigener Parkplätze und/oder wegen finanzieller Vorteile.
Vor dem Hintergrund des dargelegten gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Nutzens von geteilten Fahrzeugen sind Städte, Gemeinden und Planungsverbünde aufgerufen, Carsharing systematisch in ihre Mobilitätskonzepte und ihre Angebotsplanung zu integrieren. Wenn sich Städte im Austausch mit der Branche Gedanken zur wünschenswerten Angebotsentwicklung machen, ist bereits ein wichtiger Schritt für die Marktentwicklung getan. Neben Kampagnenarbeit und der Bereitstellung von Stellplätzen können Städte die Marktentwicklung zudem aktiv unterstützen, indem sie Carsharing bei Neubauprojekten, Arealplanungen und Firmen fördern. Viele Anbieter bieten für dieses Segment erprobte und marktfähige B2B-Produkte an. Gefragt sind zukunftsgerichtete Leitfäden, welche aufzeigen, wie kommunale Carsharing-Förderung in der Schweiz konkret ausschauen kann.
Die Entwicklung und die Verbreitung von selbstfahrenden Fahrzeugen werden das Verkehrssystem und unser Mobilitätsverhalten in Zukunft verändern. Neben vielen Chancen punkto Effizienz und Verkehrssicherheit birgt das automatisierte Fahren auch das Risiko, Mehrverkehr zu generieren.
Nur wenn das Teilen von Fahrzeugen und Fahrten ein zentraler Anwendungsfall des automatisierten Fahrens wird, werden wir die Potenziale des automatisierten Fahrens in Bezug auf Effizienz- und Flächengewinne voll ausschöpfen. Sharing sollte deshalb im verkehrspolitischen Diskurs rund um automatisierte Mobilität mitberücksichtigt und die Rahmenbedingungen so ausgestaltet werden, dass geteilte und automatisierte Fahrdienste rasch zugelassen und erprobt werden können, sobald die Technologie reif ist. Zu prüfen sind ausserdem Massnahmen wie die Priorisierung von Fahrzeugen nach Besetzungsgrad und die Vermeidung von Leerfahrten, um sicherzustellen, dass der Markthochlauf von Geschäftsmodellen der Shared Mobility mit der Automatisierung einhergeht.
Alle Marktakteure im Verkehrswesen sind hiermit aufgerufen, sich bei ihrem Wirken an den im vorliegenden Papier beschriebenen Prinzipien zu orientieren, damit Carsharing sich aus der heutigen Nische heraus zu einer breit etablierten und integrierten Mobilitätsdienstleistung entfalten kann.