Ein Positionspapier der „Swiss Alliance for Collaborative Mobility“
(CHACOMO)
Autor: Dr. Jörg
Beckmann, Präsident
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Positionspapier "eScooter" als Druckversion
Die Zahl der in den Schweizer Städten gemeinschaftlich genutzten
eScooter wächst stetig. Schätzungen zufolge sind heute knapp 6000 geteilte
eScooter unterwegs. Allein im 2021 wuchs die Flotte um rund 20%. Mit Beginn des
Jahres 2022 teilen sich sechs Anbieter den Schweizer Markt des
eScooter-Sharings, darunter die Firmen Lime, Voi, Tier und Zisch. Die noch
junge Branche gewinnt dabei zunehmend an Popularität und fast alle Anbieter konnten die Anzahl der Fahrten und aktiven Nutzenden zwischen 2019 und 2021
jährlich mehr als verdoppeln.
In Anbetracht der stark wachsenden Popularität dieser Sharing-Angebote stehen immer mehr Schweizer Städte und Gemeinden vor der Herausforderung, geteilte eScooter als Leicht- Motorfahrräder auf eine sozial, ökonomisch und ökologisch nachhaltige Art in den städtischen Gesamtverkehr einzubinden. Sie folgen damit zu Recht den Erkenntnissen aus anderen Ländern, dass nur über eine sinnhafte und faire Regulierung die grossen Nachhaltigkeitspotenziale dieser und anderer Shared-Mobility-Angebote auch genutzt werden können.
Die „Swiss Alliance for Collaborative Mobility“ (CHACOMO) begrüsst daher das steigende Interesse der Schweizer Gebietskörperschaften an einer engeren Zusammenarbeit mit den Anbietern gemeinschaftlich genutzter eScooter und steht der öffentlichen Hand bei der Planung und Umsetzung mit Rat und Tat zur Seite. Ähnlich wie die relevanten Behörden auf kommunaler, kantonaler und nationaler Ebene sieht der Verband CHACOMO eScooter als Teil der sogenannten Mikromobilität bzw. aktiven Mobilität.
Weder kann es darum
gehen, dass regulatorische Eingriffe wie in asiatischen oder nordamerikanischen
Ländern zum Schweizer Standard werden, noch, dass die Shared Mobility-Branche
im Allgemeinen und die eScooter-Sharer im Besonderen gegenüber den klassischen
Verkehrsträgern ÖV, MIV und der aktiven Mobilität durch regulatorische
Rahmensetzungen so eingeschränkt werden, dass sie eben nicht ihren klima- und
ressourcenschonenden Beitrag zum künftigen Stadtverkehr leisten können.
Angesichts der vielerorts geführten Debatten um das „Für und Wider“ von Angeboten zur gemeinschaftlichen Nutzung von elektrischen Scootern, legt CHACOMO mit dieser Schrift jene Gründe dar, welche verkehrspolitische Entscheidungsträger in den Schweizer Städten und Gemeinden dabei unterstützen sollen , innovationsfreundliche, faire und fachlich fundierte Regularien für ein nachhaltiges eScooter-Sharing zu schaffen.
Sharing-Angebote,
wie das Teilen von elektrischen „Trottis“, sind integraler Bestandteil des
gesamten Shared Mobility-Ökosystems – und eben auch nur als Ganzes mit all
seinen unterschiedlichen Werkzeugen und Diensten kann dieses System seine transformatorische
Kraft entfalten. Eine einseitige Regulierung dieses neuen Mobilitätsbausteins hingegen wirkt der Chance einer Flexibilisierung und Attraktivitätssteigerung des ÖV mitunter entgegen und trägt zur weiteren Zementierung des privaten Personenwagens als
dominanter Verkehrsträger bei.
Nach dem ungeordneten Start der ersten stationsungebundenen Bike-Sharing Angeboten in Schweizer Städten und anderswo, hat sich die noch junge Mikromobilitätsbranche inzwischen spürbar weiterentwickelt . Heute begrüssen nahezu sämtliche Freefloating-Anbieter, darunter auch die eScooter-Sharer, starke Regularien, die ihnen helfen, innerhalb eines klar definierten Rahmens zu planen und zu wachsen. Ein zielführender regulatorischer Rahmen ist dabei eine wesentliche Voraussetzung für eine nachhaltige Integration der Mikromobilität in den Stadtverkehr.
Die Verteilung staatlicher Subventionen und Förderprogramme an private und öffentliche Schienen- und Strassenverkehrsakteure bestimmt seit vielen Jahren die verkehrspolitischen Debatten in der Schweiz, denn viele der klassischen Verkehrsangebote können ohne staatliche Subventionen nicht kostendeckend betrieben werden. Die Anbietenden von geteilten eScootern stellen schon heute unter Beweis, dass der Betrieb von Mikromobilitätsflotten auch rein privatwirtschaftlich erfolgreich geführt werden kann. Wenn allerdings die regulatorischen Rahmenbedingungen Attraktivität , Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit des Angebots signifikant einschränken, steigen die Kosten und der Betrieb kann nicht mehr ohne öffentlich Gelder aufrecht erhalten werden. In der Konsequenz wird es dann bedeutend schwerer , eine Verlagerung vieler Kurzstreckenfahrten vom klassischen MIV auf die geteilte Mikromobilität zu fördern und ein Zeichen für die Umkehr zu einer neuen Mobilität zu setzen .
Das eScooter-Sharing ist ein vergleichsweise junges Angebot im Ökosystem der Shared Mobility , hat in den letzten Jahren jedoch gleichzeitig ein hohes Entwicklungspotential gezeigt, vor allem in Sachen Nachhaltigkeitsperformance . Diese ökologischen Quantensprünge von eScootern sind zurückzuführen auf eine ressourcenschonendere Herstellung, die Optimierung von Logistikketten insbesondere durch den Einsatz von Wechselakkus und energieeffizienteren Fahrzeugen sowie der Verbesserung bei der Rezyklierung. Gegenüber der ersten eScooter-Generation haben sich gemäss einer Studie des ITF [1] bei konsequenter Umsetzung der oben genannten Massnahmen die CO 2 - Emissionen heutiger eScooter um etwa zwei Drittel auf unter 40g CO 2 /km reduziert – was wiederum jenen Emissionen entspricht, die bei einem mit dem Tram zurückgelegten Kilometer pro Person anfallen.
[1] International Transport Forum (ITF) & OECD (2020). Good to Go? Assessing the Environmental Performance of New Mobility . Corporate Partnership Board Report.
Geteilte eScooter ersetzen in stark autoorientierten Städten eine deutlich höhere Anzahl an Autofahrten, als in den vom klassischen ÖV bestimmten Schweizer Städten. Gleichwohl könnten auch hierzulande durch entsprechende planerische Massnahmen geteilte eScooter noch mehr Autos, Autofahrten und Autokilometer ersetzen als bisher. Hervorzuheben ist hier die Entwicklung und Förderung von „Park & Share Hubs“ am Stadtrand. Wenn Politik und Planung beginnen, stärker die Potenziale von geteilten eScootern zur Substitution des klassischen MIV zu erkennen und zu fördern, werden diese auch noch besser als bisher zu einer Verkehrsentlastung der Schweizer Städte beitragen. Wer den allerdings die Flottengrössen zu stark minimiert, oder durch andere Initiativen die Flexibilität des Angebots signifikant eingeschränkt, verschlechtert sich dadurch die Verfügbarkeit, was überhöhte Nutzungsgebühren einfordert und den Fahrpreis in die Höhe treibt. Die angestrebte Verlagerung vom MIV zum geteilten Mikromobilitätsfahrzeug findet nicht statt.
Selbst in den vom klassischen ÖV bestimmten Mobilitätswelten der Schweizer Städte kommen geteilte eScooter grundsätzlich nicht als Kannibalen daher, sondern zunehmend als ein den ÖV ergänzendes und entlastendes Mobilitätsangebot. Nationale und lokale Verkehrsbetriebe sehen, gleichermassen die Chancen in der Mikromobilität und sind vielerorts bemüht, Busse und Bahnen besser mit geteilten eScootern zu verzahnen. Beispiele sind die Bereitstellung von Parkierungs- und Ladeflächen für eScooter an Bahnhöfen und im Raum Bern durch die BLS oder in Zürich durch die VBZ. So entstehen heute in der Schweiz immer mehr (Shared) Mobility-Hubs, welche die Attraktivität intermodaler Mobilitätsdienstleistungen deutlich verbessern und den Zugang zum Ökosystem der Shared Mobility erleichtern.
Noch eindrücklicher sind die positiven Effekte, die im Rahmen von Verbundprojekten, beispielsweise im Raum Stuttgart, gemessen wurden und klar aufzeigen auf welchen Wegen eScooter-Sharing auch die ÖV-Nutzung fördern kann : Im Rahmen eines Pilotprojekts mit der S-Bahn Stuttgart konnten an einem Scooter-Mobility Hub ein 30 prozentiger Anstieg bei den Ticketverkäufen im ÖV festgestellt werden. Heute ist klar, dass es durchaus ein enormes Potenzial für bidirektionale Synergien zwischen ÖV und eScooter-Sharing gibt und es nun eine Frage der Bereitschaft aller Beteiligter ist, diese auch zu nutzen.
E Scooter-Sharing wie auch andere alternative Verkehrsmittel haben in der Schweiz weniger ein Flächenproblem – sondern ein Infrastruktur(bereitstellungs)problem. Auf jedes Auto kommen je nach Stadt 2 bis 3 Parkplätze, von jeweils 12 Quadratmetern Ausmass. Der Aufbau dieser Infrastruktur wird von den Städten und Gemeinden, der öffentlichen Hand, durch steuerliche Vergünstigung massgeblich getragen und gefördert. Für die aktuell gerade rund 6000 Trottis in der Schweiz – die zusammengenommen nicht mehr als die Fläche eines Fussballfeldes einnehmen – gibt es solche Zuwendungen hingegen nicht. Die Förderung der Mikromobilität im knappen Stadtraum birgt die Chance Schweizer Städte neu zu denken und lebenswerter zu gestalten.
Die Anbieter von geteilten eScootern haben in den vergangenen Jahren umfassende Massnahmen ergriffen, um sowohl die Sicherheit ihrer Fahrzeuge zu erhöhen, als auch das Fahrverhalten ihrer Nutzenden zu verbessern. Im Vergleich zu den privaten, teils technisch minderwertigen bzw. nicht zugelassenen Scootern, weisen qualitativ hochwertige, regelmässig gewartete Scooter im Sharing- Betrieb schon aufgrund der erforderlichen Betriebszulassung einen deutlichen höheren Sicherheitsstandard auf. Beispielsweise verlangt die Stadt Zürich von den Anbietern den Prüfbericht einer zertifizierten Stelle für Betriebssicherheit, bevor sie die Zulassung erteilt. Zwischen privaten und geteilten eScooter sollte daher hinsichtlich ihrer Sicherheit eine Unterscheidung gemacht werden.
Für eine evidenzbasierte Verkehrssicherheitsarbeit liegen mit Blick auf die Nutzung geteilter eScooter bisher nur unzureichend polizeilich erhobene Daten vor, die eine Einordnung im Rahmen des allgemeinen Verkehrsgeschehens zulassen. Zu oft noch sehen sich Verkehrssicherheitsakteure bei ihren Ausführungen auf Annahmen, Anekdoten und Schätzungen angewiesen , die oft im Kontrast zu den von Sharing-Anbieter erhobenen Daten stehen . Durch weitere Beforschung der Unfallursachen, der Unfallschwere und der Unfallfolgen sowie weiterer kritischer Verkehrssicherheitsaspekte des eScooter-Sharings lassen sich die evidenzbasierten Grundlagen für eine verbesserte Sicherheitsperformance gewinnen und Ansätze für fahrzeugtechnische und vor allen Dingen infrastrukturelle Massnahmen und Regulierungen finden.
Jeder Entscheidung für oder gegen die Einführung von Verkehrssicherheitsmassnahmen liegt eine Risikoabwägung zu Grunde, die mit darüber entscheidet, wie attraktiv ein Mobilitätswerkzeug oder - Angebot letztlich ist. Eingeschränkte Geschwindigkeiten oder Fahrverbote für eScooter in bestimmten Zonen oder zu bestimmten Zeiten, um die Sicherheit der Nutzenden oder anderer Verkehrsteilnehmenden zu verbessern, sind durchaus akzeptabel, auch wenn diese Massnahmen einen Einfluss auf die Nachfrage des Angebots haben. Allerdings gilt es dabei auch, den Aspekt der Verhältnismässigkeit zu betrachten.
Zwei Beispiele mögen diese Argument verdeutlichen:
1) Wenn sich die Autoindustrie auf europäischer Ebene seit Jahren gegen ein nichtübersteuerbares Geschwindigkeitsassistenzsystem wehrt, erscheint es unfair, wenn die sehr viel niedrigere Geschwindigkeit geteilter eScooter – die abseits aller Kritikpunkte in weitaus weniger Verkehrsunfälle verwickelt sind – ohne entsprechende Konzeptevaluierung durch Ferndrosselung herabgesetzt wird.
2) Wenn sich der Bundesrat gegen ein Helmobligatorium für eVelos, die ein vergleichbares Geschwindigkeitsprofil und eine ältere Nutzerdemographie aufweisen, ausspricht und damit unterstreicht, dass nicht jede denkbare Sicherheitsmassnahme auch (klima-)politisch dienlich ist, erscheint es unverhältnismässig, eine Helmpflicht für geteilte eScooter zu fordern.
Selbstbestimmte Mobilität ist mehr als der schlichte Transport von A nach B. Wenn dem nicht so wäre, führen wir Trabant und sässen auf Holzbänken in der Einheitsklasse. Die „Freude am Fahren“ hielte sich hier in Grenzen. Gemeinschaftlich genutzte eScooter sind Teil einer „Wertewelt Mobilität“, die Verkehr mit Innovation, Emotion und körperlicher Bewegung verbindet und so über positive Erlebnisse zu mittelfristigen Mobilitätsverhaltensänderungen führt. Der einfache Zugang zum eScooter-Sharing, das weder grosse Anschaffungsinvestitionen noch eine teure Fahrausbildung verlangt, macht gemeinschaftlich genutzte „Trottis“ zudem zu einem sozial gerechten Mobilitätsangebot.